Ein Molekül, viele Derivate: Eine nicht enden wollende Wechselwirkung von Melatonin mit reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffspezies?

Autor(en):

Tan DX, Manchester LC, Terron MP, Flores LJ, Reiter RJ

Schlagwörter:

Kategorien:

Publikation:

In: J Pineal Res. 2007 Jan;42(1):28-42.

Publikationslink:

DOI-Link:

https://doi.org/10.1111/j.1600-079X.2006.00407.x

Melatonin ist ein hochkonserviertes Molekül. Es lässt sich evolutionsgeschichtlich bis zu sehr alten photosynthetischen Prokaryoten zurückverfolgen. Eine primitive und primäre Funktion von Melatonin ist seine Aktivität als rezeptorunabhängiger Fänger freier Radikale und Antioxidans mit breitem Wirkspektrum.

Die rezeptorabhängigen Funktionen von Melatonin entwickelten sich im Laufe der Evolution. In dem vorliegenden Übersichtsartikel konzentrieren wir uns auf den Melatonin-Stoffwechsel, u.a. auf Enzyme, die die Synthesegeschwindigkeit begrenzen, die Syntheseorte, die potenziellen Regulationsmechanismen, die Bioverfügbarkeit beim Menschen, die Abbaumechanismen und die Funktionen seiner Metaboliten. Aktuelle Evidenzdaten deuten darauf hin, dass es sich bei dem ursprünglichen Melatoninmetaboliten möglicherweise um N1-Acetyl-N2-Formyl-5-Methoxykynuramin (AFMK) handelt und nicht um das üblicherweise bestimmte Harnausscheidungsprodukt 6-Hydroxymelatoninsulfat.

Sowohl in vitro als auch in vivo wurden zahlreiche Wege für die AFMK-Bildung identifiziert. Dazu gehören enzymatische und pseudo-enzymatische Wege, Wechselwirkungen mit reaktiven Sauerstoffspezies (ROS)/reaktiven Stickstoffspezies (RNS) und mit ultravioletter Strahlung. AFMK kommt in Säugetieren einschließlich des Menschen vor und ist der einzige nachweisbare Melatoninmetabolit in einzelligen Organismen und Metazoen. 6-Hydroxymelatoninsulfat wurde bei diesen als evolutionsgeschichtlich sehr alt eingestuften Lebensformen nicht gefunden. Dies bedeutet, dass sich AFMK zu einem früheren Zeitpunkt in der Evolution als Melatoninmetabolit entwickelt hat als 6-Hydroxymelatoninsulfat. Über den AFMK-Weg kann ein einzelnes Melatoninmolekül Berichten zufolge bis zu 10 ROS/RNS einfangen.

Dass sich die Fähigkeit des Melatonins, freie Radikale abzufangen, auf seine sekundären, tertiären und quaternären Metaboliten erstreckt, ist mittlerweile dokumentiert. Die Interaktion von Melatonin mit ROS/RNS scheint ein länger andauernder Prozess zu sein, an dem viele seiner Derivate beteiligt sind. Der Prozess, bei dem Melatonin und seine Metaboliten sukzessive ROS/RNS abfangen, wird als „Radikalfängerkaskade“ (free radical scavenging cascade) bezeichnet. Diese Kaskadenreaktion ist eine innovative Eigenschaft von Melatonin und macht deutlich, inwiefern es sich von anderen herkömmlichen Antioxidantien unterscheidet. Durch diese Kaskadenreaktion schützt Melatonin Organismen auch in niedrigen Konzentrationen hochwirksam gegen oxidativen Stress. Im Einklang mit seiner Schutzfunktion findet sich Melatonin in erheblichen Mengen in Geweben und Organen, die häufig feindlichen Umweltbelastungen ausgesetzt sind, wie z. B. in Darm und Haut oder Organen mit hohem Sauerstoffverbrauch wie das Gehirn. Darüber hinaus kann die Melatoninproduktion durch Stressoren geringer Intensität wie z.B. Ernährungsbeschränkungen bei Ratten und körperlicher Anstrengung beim Menschen hochreguliert werden. Intensiver oxidativer Stress führt zu einem raschen Abfall der Spiegel von zirkulierendem Melatonin. Dieser Melatoninabfall hängt nicht mit seiner reduzierten Synthese zusammen, sondern mit seinem raschen Verbrauch, d.h. zirkulierendes Melatonin wird durch die stressinduzierte Wechselwirkung mit ROS/RNS rasch metabolisiert.

Der rasche Melatoninabbau bei erhöhtem Stress könnte als Schutzmechanismus von Organismen fungieren, bei denen Melatonin als Abwehrmolekül der ersten Linie gegen oxidative Schäden eingesetzt wird. Der oxidative Status von Organismen wirkt sich also auf den Melatoninstoffwechsel aus. Je höher der oxidative Zustand, so berichten Autoren, desto mehr AFMK wird produziert. Das Verhältnis zwischen AFMK und einem anderen Melatoninmetaboliten, dem zyklischen 3-Hydroxymelatonin, könnte als Indikator für das Ausmaß von oxidativem Stress in Organismen dienen.

Nach oben scrollen