Im letzten Jahr wurde Melatonin 60 Jahre alt, zumindest liegt seine Entdeckung 60 Jahre zurück. Das Molekül an sich ist möglicherweise fast so alt wie das Leben selbst. Es ist also an der Zeit, seine Funktionen, Wirkweisen und klinischen Anwendungsmöglichkeiten einmal aus einer ganz neuen Perspektive zu betrachten.
Dies ist kein formeller Übersichtsartikel. Es gibt bereits eine Vielzahl systematischer Übersichtsarbeiten, narrativer Übersichtsarbeiten, Metaanalysen und sogar Übersichtsarbeiten zu Übersichtsarbeiten. Angesichts der außergewöhnlichen Vielfalt der Wirkungen, die Melatonin in den letzten 25 Jahren zugeschrieben wurden, ist es eher ein Versuch, einige Aspekte herauszugreifen, über die Konsens besteht und bei denen placebokontrollierte, randomisierte klinische Studien frühe Beobachtungen zu therapeutischen Anwendungen bestätigt haben. Die gegenwärtig zunehmende Besorgnis über die vielfältigen Gesundheitsprobleme, die im Zusammenhang mit einem gestörten zirkadianen Rhythmus stehen, hat das Interesse an damit verbundenen therapeutischen Ansätzen geweckt, zu denen auch der Einsatz von Melatonin gehört. Im vorliegenden Text werden die physiologische Rolle von endogenem Melatonin und die überwiegend pharmakologischen Wirkungen einer exogenen Behandlung unter der Annahme betrachtet, dass normale zirkulierende Konzentrationen der endogenen Produktion durch die Zirbeldrüse entsprechen.
Der Artikel konzentriert sich hauptsächlich auf den am besten erforschten und anerkannten Bereich der therapeutischen Anwendung und der potenziellen Anwendung von Melatonin – seine zweifellos vorhandene Fähigkeit, die zirkadianen Rhythmen und den Schlaf wieder zu normalisieren, von der der Autor ausgeht. Darüber hinaus wird kurz auf einige andere Systeme mit auffälligen rhythmischen Merkmalen eingegangen, u.a. auf bestimmte Krebsarten, das Herz-Kreislauf-System, die entero-insuläre Achse und den Stoffwechsel sowie auf die Anwendung von Melatonin zur Beurteilung des zirkadianen Status. Viele Übel der entwickelten Welt haben mit gestörten Rhythmen zu tun – und alles ist rhythmisch, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird.